"Der Gott, der Eisen wachsen ließ,
wollte keine Knechte"
April - August 2003
Begleitprogramm zum Theaterprojekt 'Union der festen Hand'
von Stephan Stroux
Berlin, Goslar,
Göttelborn, Essen
Auftraggeber/Partner:Bundeszentrale für politische Bildung/bpb,
Stephan Stroux
Aufgabenbereich:Konzeption, Organisation und Durchführung
in Zusammenarbeit mit Alf Thum

"Der Gott, der Eisen wachsen ließ, wollte keine Knechte"

Die Bundeszentrale für politische Bildung bietet ein künstlerisches und diskursives Begleitprogramm zum Theaterprojekt UNION DER FESTEN HAND

Braunkohlewerk in PlessaDas Theaterprojekt UNION DER FESTEN HAND, eine Dramatisierung des gleichnamigen Schlüsselromans von E. Reger durch den Berliner Regisseur Stephan Stroux, wird von Mai bis August 2003 in ehemaligen und exemplarischen Industriestandorten stattfinden.

Generalthema von UNION ist das Verhältnis von Arbeit und Kapital in der industriellen Moderne, die Durchsetzung der Modernität dieses Verhältnisses, deren Vorgeschichte und deren Folgen bis in die Gegenwart. Dieser Prozess, für den in Deutschland die Zeit der Weimarer Republik eine Etappe von zentraler Bedeutung darstellt, ist der Gegenstand von UNION und des Theaterabends im engeren Sinne.

Die Aufführungen werden in den folgenden stillgelegten industriellen Großanlagen stattfinden: Reichsbahnausbesserungswerk Berlin, Bergbaumuseum Rammelsberg in Goslar, Zeche und Kokerei Zollverein in Essen, Zeche Göttelborn im Saarland. Die Stilllegung der Anlagen zeigt deutlich, dass die Epoche der Herrschaft der Schwerindustrie ihr Ende gefunden hat. Dieses wird nicht zuletzt durch die Ernennung der Anlagen in Essen und Goslar zum Weltkulturerbe der UNESCO unterstrichen. Mit diesen Anlagen, die mit ihrer Musealisierung erst für eine breite Öffentlichkeit zugänglich werden, öffnet sich der Blick auf eine historische Epoche und die Reflexion ihrer Bedeutung.

Die Bundeszentrale für politische Bildung/bpb veranstaltet unter dem Titel "Der Gott, der Eisen wachsen ließ, wollte keine Knechte" an den jeweiligen Spielorten des Theaterprojekts ein umfangreiches Begleitprogramm. Es umfasst Filmvorführungen, Formate für Schulen und Kulturveranstaltungen. Ein weiteres Element sind die an jedem Ort stattfindenden Podiumsdiskussionen. Das Programm wird die durch das Stück angeregten Themenbereiche in einen aktuellen und erweiterten Kontext setzen.


Berlin

Podiumsdiskussion

"Krieg ist die Fortführung der Geschäfte mit anderen Mitteln"
22. April 2003, 19:30 Uhr
Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, 10557 Berlin

Die Podiumsdiskussion greift die zentrale Thematik des Stücks UNION DER FESTEN HAND auf: Vor dem Hintergrund der ideologischen Debatten um Arbeit und Kapital in den zwanziger und dreißiger Jahren werden die aktuellen Standpunkte zur sozialen Frage, die Globalisierungsdebatte und auch das Verhältnis von Ökonomie und Krieg diskutiert.

Deutlich wird das vorgenannte Verhältnis in der Debatte über den laufenden Irak-Krieg und die möglichen ökonomischen Interessen der USA hierbei thematisiert. Es gibt Positionen, die eine ausschließliche Motivation für den Waffengang in dem Zugriff auf die irakischen Ölvorkommen sehen, wie es auch eine Vielzahl von Demonstranten weltweit im Slogan 'Kein Blut für Öl' ausdrücken.

Die Diskussion soll der Frage nachgehen, ob diese monokausale Position zutreffend sein kann und welche Bedeutung den von der USA angeführten Rechtfertigungen zukommt. Ein weiterer Schwerpunkt sollen generelle Aspekte des Verhältnisses von Krieg und Ökonomie sein. Zu diskutieren wäre, wie sehr kriegerische Handlungen der Vergangenheit von wirtschaftlichen Interessen geleitet wurden und welche politische Relevanz beispielsweise Rüstungsindustrien zukommt.

Eine Podiumsdiskussion mit Otfried Nassauer, Berliner Informationszentrum für transatlantische Sicherheit; Dr. Hermann Scheer MdB, SPD, Auswärtiger Ausschuss; Prof. Dr. Jürgen Schnell, stellv. Generalinspekteur a.D.; Moderation: Mathias Greffrath, Publizist.

Musikalisch eingerahmt wird die Podiumsdiskussion von der Berliner Percussion-Gruppe Bando, die in der Inszenierung UNION DER FESTEN HAND mitwirkt. Bando bietet eine kraftvolle Mischung verschiedenster Percussionmusik gespielt auf Stahlfässern, die konzertante Aspekte mit Tanz und Bewegung verbindet.

Filmprogramm

Reichsbahnausbesserungswerk BerlinMichael-Moore-Filmabend mit Kochprogramm
29. April 2003, 20:00 Uhr
RAW-Tempel, Ambulatorium, Revaler Str. 99, 10245 Berlin

Der Abend zeigt die Filme ROGER & ME (1989, OmU) und THE BIG ONE (1997, engl. OV) des Meisters des kritischen Dokumentarfilms.

In unverwechselbarem Stil widmet sich Moore in ROGER & ME dem wirtschaftlichen und sozialen Niedergang seiner Heimatstadt Flint. General Motors hatte dort Zehntausende von Arbeitskräften freigesetzt, weil neue Fabriken in Mexiko einfach rundum profitabler sind. Penetrant spürt Moore hinter dem GM-Chef Roger Smith her und stolpert durch eine Stadt im Verfall. Auch für Fans hiesiger Rezession ein echtes Muss!

War es eben noch Flint, fräst sich Moore bei THE BIG ONE durch die gesamte USA und spürt den Globalisierungsstrategien der Großkonzerne nach. Getarnt als Buchautor konfrontiert er Konzernchefs mit den auswärtigen Hungerlöhnen und fragt ganz zu Recht: Wenn es immer nur um Profit geht, warum verkauft dann GM nicht Crack?

Dazu serviert das RAW-Kochteam leckere Gerichte.


Michael-Moore-Filmabend
09. Mai 2003, ab 20:00 Uhr
Hackesche-Höfe-Filmtheater, Rosenthaler Str. 40/41, 10178 Berlin

20:00 Uhr: ROGER & ME (1989, OmU)
22:00 Uhr: THE BIG ONE (1997, engl. OV)

Performance

"Arbeit unter Feuer"
06. Mai 2003, 21:00 Uhr
Reichsbahnausbesserungswerk RAW, Revaler Straße, 10245 Berlin

Eine Klangperformance in den Trümmern der Schwerindustrie. Musiker/innen, Schauspieler/innen, Performancekünstler/innen aus dem Theaterprojekt UNION DER FESTEN HAND experimentieren in fünf Fragmenten mit dem dramatischen Ton und den Bildern der Industrie und spielen mit der Sprache der Räume. Arbeit unter Feuer u.a. mit brasilianischer Disco, Küche und Getränken.

Programm für Schulen

"Trümmerkunde – ein Spiel mit der Zukunft"
Mai 2003, 9:00 Uhr bis 15:00 Uhr
Reichsbahnausbesserungswerk RAW, Revaler Straße, 10245 Berlin
Geschlossene Veranstaltung

Theatererkundungen für Schüler/innen der Kurt-Schwitters Oberschule mit dem Regisseur, dem Dramaturgen, Schauspieler/innen und weiteren Akteuren des Projekts UNION DER FESTEN HAND. Ein Theatertag in dem seit 10 Jahren stillgelegten Industriegelände Reichsbahnausbesserungswerk Warschauer Straße. Schüler/innen werden in unterschiedlichen Workshops mit der Sprache der verlassenen Räume und der Übersetzung von Industriegeschichte in theatrale Auseinandersetzung konfrontiert.


Goslar

Podiumsdiskussion

Bergbaumuseum Rammelsberg in Goslar"Arbeit am Ende? Geld und Macht international"
04. Juni 2003, 20:00 Uhr
Weltkulturerbe Rammelsberg, Schmiede, Bergtal 19, 38640 Goslar

Die Grube am Rammelsberg förderte seit dem Mittelalter mit den Erzen auch die Macht der Gebietsbeherrscher und Kaiser. Welche Entwicklung seitdem die offenbar enge Beziehung von Geld und Macht genommen hat, wird ein Aspekt der Diskussion sein. Dabei sollen auch die aktuellen Einwände der sog. Globalisierungskritiker/innen zum weltweiten Finanzsystem, der Vermögensverteilung und der Lebenssituation außerhalb der entwickelten Staaten behandelt werden.

Moderation: Mathias Greffrath, Publizist.

Filmprogramm

"ArbeitsFilm"
22. Mai 2003, ganztägig, ab 9:00 Uhr
Weltkulturerbe Rammelsberg, Schmiede

Ein Filmtag mit dem Michael-Moore-Film ROGER & ME (1989, OmU), vier Termine für Schulklassen. Mit Sonderführungen "Was ist Weltkulturerbe?"

20:00 Uhr: ROGER & ME (1989, OmU), öffentliche Abendvorstellung

Programm für Schulen

"Spiel mit dem Berg – eine theatrale Erforschung für Schüler/innen"
05. Juni 2003, 9:00 Uhr bis 17:00 Uhr
Weltkulturerbe Rammelsberg, Schmiede

Theatererkundungen für Schüler/innen mit Künstler/innen des Projektes UNION DER FESTEN HAND.

Performance

"Arbeit unter Feuer"
12. Juni 2003, 19:30 Uhr
Weltkulturerbe Rammelsberg, an authentischen Orten

Eine Klangperformance in den Trümmern der Schwerindustrie. Musiker/innen, Schauspieler/innen, Performancekünstler/innen aus dem Theaterprojekt UNION DER FESTEN HAND experimentieren in fünf Fragmenten mit dem dramatischen Ton und den Bildern der Industrie und spielen mit der Sprache der Räume.


Göttelborn

Podiumsdiskussion

Zeche Göttelborn im Saarland"Globale Freizeit – oder wie sieht die Arbeit von morgen aus?"
27. Mai 2003, 20:00 Uhr
Verbundbergwerk Göttelborn, Zum Schacht, 66287 Göttelborn

Die Arbeitslosigkeit steigt stetig und aktuelle Schätzungen prognostizieren bereits magische 5 Mio. Arbeitslose. Die Diskussion soll die Auswirkungen einer hochproduktiven und weltweit arbeitsteiligen Wirtschaftsweise untersuchen. Zentrale Aspekte sind neben den sozialen und finanzpolitischen Problemlagen besonders die Veränderung der Arbeitsformen und der identitätsstiftenden Funktion von Arbeit. Die Probleme und Perspektiven können gerade am Saarland als ehemals industriell geprägte Region anschaulich diskutiert werden.

Moderation: Mathias Greffrath, Publizist.

Filmprogramm

"Kino in der Schachthalle"
18. Juni 2003
Verbundbergwerk Göttelborn, Schachthalle Schacht 3

22:00 Uhr: ROGER & ME (1989, OmU)
24:00 Uhr: EIGHT MILE (2002)

Der Film EIGHT MILE beschreibt den alltäglichen Existenzkampf in Detroit, der durch Arbeitslosigkeit Kriminalität und Rassenkonflikte geprägt ist. HipHop ist hier kulturelle Überlebensstrategie und Musik erscheint als einziger Ausweg aus den tristen sozialen Verhältnissen. Mit seinem Filmdebüt EIGHT MILE erregte Rapper Eminem international Aufmerksamkeit.

Programm für Schulen

"Ein Spiel mit Räumen der Arbeit – Wege in die zukünftige Stadt"
11. Juni 2003, 10:00 Uhr bis 14:00 Uhr
Verbundbergwerk Göttelborn

Eine theatrale Erforschung mit Künstler/innen des Projektes UNION DER FESTEN HAND.

Performance

"Klopfzeichen und Standlaut"
28. Juni 2003, 20:00 Uhr
Verbundbergwerk Göttelborn

Wandelperformance in der Grube Göttelborn mit Dirk Rothbrust (Percussion) und Katharine Bihler (Stimme/Spiel). Körbe und Schienen, Stahlgeländer und Betonwände, Hallen und Gänge der Grube Göttelborn sind Instrumentarium und Resonanzraum für ein Konzert mit Schlagzeugschlegel und Stimmband. Das Publikum erfährt eine akustische Neu-Interpretation eines Ortes, der noch bis vor kurzem Stätte harter körperlicher Arbeit war.


Essen

Podiumsdiskussion

Zeche Zollverein in Essen"Schöne neue Welt? – Von der Industrie- zur Wissensgesellschaft"
03. Juni 2003, 20:00 Uhr
Kokerei Zollverein, Salzlager

Essen, Heimat der Krupp-Werke, steht für die Geschichte der Industrialisierung, schroffer Klassengegensätze und deren sozialstaatlicher Befriedung ebenso wie für den Bedeutungsverlust der Schwerindustrie und mühsamen Strukturwandel. Die Diskussion wird sich mit dem – vielleicht scheinbaren – Ende des Grundwiderspruchs von Arbeit und Kapital beschäftigen und prüfen, wie der Übergang von der Industrie- zur Wissensgesellschaft zu verstehen ist. Und ob sich dort nicht erneut ein Widerspruch auftut.

Eine Podiumsdiskussion mit Regina Bittner, Kulturwissenschaftlerin Bauhaus Dessau; Prof. Dr. Klaus Tenfelde, Institut für soziale Bewegungen, u.a.; Moderation: Mathias Greffrath, Publizist.

Szenische Lesung

"Die Entdeckung des Ruhrgebietes"

Erik Regers "Union der festen Hand"
12. Juni 2003, 20:00 Uhr
Zeche Zollverein, Schacht XII, Wipperhalle

Eine szenische Lesung mit Schauspieler/innen des Theaterprojekts UNION DER FESTEN HAND

Filmprogramm

24. Juni 2003, ab 10:00 Uhr
Lichtburg Essen, Kettwiger Str. 36, 45127 Essen
Eintritt: 5 EUR, ermäßigt 3 EUR

Michael-Moore-Filme
10 Uhr, 16 Uhr und 20 Uhr: ROGER & ME (1989, OmU)
12 Uhr: THE BIG ONE (1997, engl. OV)

"Von Schlotbaronen und Malochern: das Industriezeitalter im Film"
14 Uhr und 18 Uhr: Filmdokumente zur Industrialisierung

Hörspiel aus der WDR-Hörspielgalerie

"Krupp oder die Erfindung des bürgerlichen Zeitalters"
Ein Hörspiel von Peter Märthesheimer mit Führung, Diskussion und Konzert mit Michael Riessler und Pierre Charial
06. Juli 2003, ab 11.00 Uhr
Zeche Zollverein, Schacht 1/2/8, PACT Zollverein und Schacht XII, Kohlenwäsche

Stahlfabrikant Krupp denkt rational. Seine Welt besteht aus Zahlen. Krieg führen bringt Geld und zwei Weltkriege bringen den erhofften wirtschaftlichen Aufschwung. Die Industrialisierung gebiert ihre neue Gesellschaftsordnung mit der Kruppschen Dynastie im Mittelpunkt. Die Handlungsträger sind Kunstfiguren. Der "synthetische" Krupp steht für drei Generationen und der Kaiser für Willhelm I und Willhelm II. Hitler fährt 20 Jahre zu früh mit knatterndem Motorrad vor und meldet seine Ansprüche auf die deutsche Geschichtsschreibung an. Deutsche Historie von 1870–1946 im satirisch-zugespitzten Zeitraffer. In bitterbösen und zugleich höchste amüsanten Dialogen erlebt der Hörer den Aufstieg und Fall des Kaiserreichs, die Geburt der Sozialdemokratie, während die totalitäre Kraft des Faschismus bereits angelegt ist. Das fiktiv zusammengeführte Personenarsenal dient so nicht der historischen Aufarbeitung von Fakten, sondern dem Nachempfinden von gesellschaftlichen und politischen Entwicklungsprozessen.

Programm für Schulen

"Ein Spiel mit Räumen der Arbeit – eine theatrale Erforschung für Schüler/innen"
08. Juli 2003, ab 10:00 Uhr
Zeche Zollverein, Schacht XII, Halle 12

Theatererkundungen mit Künstler/innen des Projektes UNION DER FESTEN HAND.

Performance

"Arbeit unter Feuer"
12. Juli 2003, 21:00 Uhr
Zeche Zollverein, Schacht XII

Ein Feuerfestakt mit Kain Karawahn zur Anfeuerung der Essener Version des Theaterprojekts UNION DER FESTEN HAND von Stephan Stroux. Feurige Aspekte der Bilder und Texte des Jahrhundertromans von Erik Reger über die deutsche Wirtschaft, die Firma Friedrich Krupp und die Frage darüber, wie schön Industriegeschichte brennt.


Weitere Informationen zu 'UNION DER FESTEN HAND': www.unionderfestenhand.de

Das Programm von "Der Gott, der Eisen wachsen ließ, wollte keine Knechte" können Sie sich hier auch als PDF-Datei herunterladen:

Programm: Der Gott, der Eisen wachsen ließ, wollte keine Knechte
Der Gott der Eisen wachsen ließ, wollte keine Knechte
- Programm -
(449 K)



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Pressestimmen

Saarbrücker Zeitung, 30. Mai 2003

Union der festen Hand:

Zurück in die Zukunft der Arbeit
Kunst und Diskussion im Göttelborner Bergwerk

Göttelborn. Dass Künstler - als notorische Selbstunternehmer stets flexibel arbeitend und obendrein schlecht abgesichert - so etwas wie die Avantgarde in der nachindustriellen Gesellschaft sind, war nicht mal zynisch gemeint. Nein, im Verbundbergwerk Göttelborn ging man daran, das zu verbinden, was hier ohnehin als zusammengehörig gedacht wird: Die Kultur als Kitt der ihrer Grundfesten beraubten Arbeits-Gesellschaft.

"Globale Freizeit - wie sieht die Arbeit von morgen aus?" lautete die Frage, die im Vorfeld des für Juli in Göttelborn geplanten Theaterprojektes "Union der festen Hand" diskutiert wurde - ein Teil des von der Bundeszentrale für politische Bildung zusammengestellten Rahmenprogramms. Die Industriekultur Saar als Veranstalterin und das Festival Schicht-Wechsel, unter dessen Dach das Theaterprojekt zudem steht, hatten gerufen, und - noch - waren nur wenige gekommen. Aber gerade darum geht es den Festivalmachern und Industriekultur-Gestaltern: Kultur soll Göttelborn aufwerten. Statt Politiker hatte man deshalb Künstler eingeladen. Der Autor Guillaume Paoli als Mitglied des Netzwerks "Die glücklichen Arbeitslosen" las aus seinem Buch "Mehr Zuckerbrot, weniger Peitsche". Das war eine Melange aus Philosophischem à la Virilio mit einem Schuss Schweijk und einer Prise Wladimir Kaminer, gefolgt von Armin Chodzinskis Performance-Vortrag "Reflexionen über das Scheitern II". Hier, Paoli mit seinen formvollendet gedrechselten Thesen über Simulation und Geld-Beschaffung, dort der Künstler und Unternehmensberater Chodzinski im Tonfall des sozialphilosophisch gewendeten Künstlerdarstellers. Als dritter Ansatz von Kunst und Arbeit stellte sich der Hamburger Choreograf Jochen Roller vor: Wie viele Jobs zu machen sind, damit sich der Tänzer ein eigenes Projekt leisten kann, das war ein gut inszeniertes Rechen-Exempel. Damit waren die Beiträge der Diskussions-Teilnehmer vorgestellt, dann folgte die von Oliver Hottong (Saarländischer Rundfunk) geleitete Diskussion als Rückfall in alte Gewohnheiten. Vielleicht ist es an der Zeit, neue Formen dafür zu finden, wie zwischen Künstlern und Publikum zu vermitteln ist? SABINE GRAF

Die Aufführungen von "Union der festen Hand " sind am 4., 5. Juli sowie 10. bis 12. Juli. Infos: (030) 44356060 oder im Internet: www.unionderfestenhand.de.


Saarbrücker Zeitung, 27. Mai 2003

Wo Wann Was, Kultur - Podiumsdiskussion

Im Rahmen des Festivals "Schichtwechsel": 20 Uhr im Verbundbergwerk Göttelborn, Am Schacht 3 in Quierschied-Göttelborn: "Globale Freizeit - oder wie sieht die Arbeit von Morgen aus?" - Showtime und Podiumsdiskussion - Tanzperformance mit Jochen Roller - Lesung mit Guillaume Paoli aus seinem Buch "Mehr Zuckerbrot, weniger Peitsche" - Performancevortrag von Armin Chodzinski. Nach den Performances wird mit den Beteiligten eine Podiumsdiskussion stattfinden, Moderation: Oliver Hottong (SR) - Neue Arbeitsformen und identitätsstiftende Funktion von Arbeit. Eine Veranstaltung der Bundeszentrale für politische Bildung im Rahmen von Schicht-Wechsel 03. Das Kulturprojekt der Industriekultur Saar.

taz, 11. Juni 2003:

Mitgestalter der sozialen Skulptur

Es war eine der modernsten Förderanlagen Europas. Sie wurde Anfang der Neunzigerjahre im Bergwerk Göttelborn (Saarland) dank EG-Subventionen gebaut. Und doch wurde aus dem kilometertiefen Schacht nie ein Stück Kohle geholt. Kaum war der bombastische Förderturm feierlich eingeweiht worden, kam der Beschluss, das Werk endgültig stillzulegen. Übrig blieben eine 500 Millionen Mark schwere Investitionsruine sowie 2.500 entlassene Bergleute. Prompt ernannte die Landesregierung eine Ad-hoc-Kommission (immerhin eine Einstellungschance für arbeitslose Kulturwissenschaftler), um die wirtschaftliche Peinlichkeit zumindest rhetorisch positiv umzugestalten. So wurde die High-Tech-Brache als "Zukunftsstandort" und "Ikone des Kommunikationszeitalters" verklärt. "Interdisziplinär" sollte "das einzigartige Industriedesign neu interpretiert" werden, die New Ecomomy würde ganz gewiss für Arbeitsplätze sorgen, außerdem sollten dort "alle Künste", die im dunklen Industriezeitalter zersplittert worden waren, "zusammengeführt werden". Ein glänzendes Vorhaben, das sich als so kurzlebig erweisen sollte wie das ursprüngliche Industrieprogramm. Kein Start-up-Unternehmen hat sich in Göttelborn niedergelassen. Kurz nach der Bergwerkschließung platzte auch die Blase der IT-Branche. Und trotz der "verkehrstechnisch optimal gelegenen" Position der Brache ließen interdisziplinäre Künstler auf sich warten. Schließlich konkurrieren in Europa dutzende von ähnlichen, unfruchtbaren Mastodonen um eine künstliche Wiederbelebung.

Symbolisch gesehen war also der Ort für eine Podiumsdiskussion über die Frage: "Wie sieht die Arbeit von morgen aus?" optimal. Dorthin wurde ich Ende Mai eingeladen, im Rahmen des von Stephan Stroux aufwendig inszenierten Industrietheater-Projekts "Union der festen Hand". Unterstützt wurde das Rahmenprogramm von der Bundeszentrale für Politische Bildung, einem der wenigen noch zahlungsfähigen Unternehmen der Veranstaltungsindustrie. Bloß, anscheinend wurde nicht allzu viel Wert auf lokale Nachfrage gelegt. Nur eine Hand voll Zuschauer fand ihren Weg zu der Riesenhalle – darunter selbstverständlich kein einziger Exbergarbeiter. Stell dir vor, es wird über die Zukunft der Arbeit diskutiert und keiner geht hin! So wurde ein durchaus passendes Gefühl der Leere und der Irrealität erzeugt, das auf den Diskussionsverlauf angenehm einwirkte.

Teilnehmer des Abends war auch Armin Chodzinski, der als studierte Künstler in die Wirtschaft ging, nicht um Karriere zu machen, sondern "um zu forschen, um künstlerisch zu handeln". Schließlich werden in Unternehmen vor allem "Lebensmodelle" erzeugt. Manager bedienen sich immer häufiger des künstlerischen Diskurses, so etwa Götz Werner, Geschäftsführer von dm-Drogerie Markt, der seinen Mitarbeiter die Chance bieten will, "Mitgestalter der sozialen Skulptur" zu werden. Chodzinski nahm diese Managementliteratur beim Wort und sah seine Vermutung völlig bestätigt: Binnen Monaten wurde er in die Geschäftsleitung eines großen Handelskonzerns katapultiert! Dann kündigte er und veröffentlichte seine Forschungsergebnisse (bei Revisionsverlag Hamburg erhältlich). Fazit: In der Zukunft wird es Arbeit nur noch für Künstler geben. Die kategorischen Imperative der neoliberalen Wirtschaft seien eben idealtypische Merkmale des Künstlers: Kreativität, Kommunikation, soziale Kompetenz, Projektplanung und -vermittlung und vor allem die grenzenlose Bereitschaft, sich selbst auszubeuten. Ökonomisierung hieße zugleich Kulturalisierung, und dies sei ein "Horrorszenario", denn: "Diese Kategorien zeichnen sich dadurch aus, dass sie eben gerade nicht solidarisch funktionieren."

Dass Künstler, die nicht ins Management gehen, auch als Avantgarde fungieren können, nämlich als Arbeitslose, zeigte seinerseits der Tänzer Jochen Roller. Um seine Choreografien finanzieren zu können, musste er kleine Jobs wie das Eintüten von Werbung im Kauf nehmen. Nun hat er diese Dichotomie sinngemäß überwunden und tütet die Werbezettel gleich auf der Tanzbühne ein. Später erzählte der "tanzende Verkäufer", dass er kürzlich zu einem Performancefestival eingeladen wurde, dessen fehlende Subventionierung positiv uminterpretiert wurde, indem man ihm den Titel verlieh: "No money, just fun". Da fiel mir eine Sachbearbeiterin des Arbeitsamtes ein, die neulich meinte: "Wissen Sie, Sie können ihr Leben doch gestalten wie Sie wollen, vorausgesetzt, Sie bekommen kein Geld von uns."

No money ist ein leichtes Programm, aber wie wird fun hervorgebracht? Auf dem Rückweg nach Berlin bekam ich eine erste Antwort. Der Zug war mit lächelnden Pilgern bepackt, die an der ersten Christ-Parade teilnehmen wollten, darunter wahrscheinlich entlassene Bergarbeiter und erfolgreiche Managementkünstler, Allzweckpraktikantinnen und bedrohte Rentner. Nun aber waren sie in eine frömmelnde Masse vereint, die nur das Schöne und Nette im Leben wahrnahm. Plötzlich wurde mir klar, dass die Zukunft der Arbeit von der Zukunft der Religion abhängt. Nicht von der Unternehmenskultur, dieser armseligen Ersatzreligion, und auch nicht von der Spaßgesellschaft, die nur gewisse Szenen zu verkitten vermag. Es bleibt so, wie es immer war: Einzig die Religion ist Ecstasy fürs Volk.

Zum gleichen Zeitpunkt wurde auch beim SPD-Sonderparteitag über die Zukunft der Arbeit diskutiert. Nicht über die Zukunft der Sozialschwäche, sondern die der Regierungsarbeit. Da stellte sich Schröder wie der durchschnittliche Arbeitnehmer dar, der unter Mobbing und Konkurrenzdruck leidet und einen dreckigen Job erledigen muss, weil es momentan keinen besseres gibt. "Wenn ich es nicht tue, werden es andere tun" – in diesem Satz sind 140 Jahre sozialdemokratischer Moralphilosophie enthalten. Welcher Angestellte könnte nicht zustimmen, dass die Erhaltung der eigenen Stelle vor allen übrigen Überlegungen kommt? Da stand ein Mann auf der Bühne, der um seinen Arbeitsplatz bangte, und die gutmütigen Delegierten fühlten sich nicht berechtigt, ihn zu entlassen. Die Solidargemeinschaft war gerettet. GUILLAUME PAOLI

NRZ, 13. Juli 2003:

Extra-Schicht im Feuerland

Vor allem die Zeche Zollverein wurde in der Nacht zum Sonntag Anziehungspunkt für viele Industriefreunde.

Es wurde eine lange Nacht. Denn erst mit Einbruch der Dunkelheit, als die Lichter das Weltkulturerbe im Norden der Stadt anstrahlten, zog der Industriezauber die Besucher zu Tausenden auf das Gelände der Zeche und Kokerei Zollverein. So auch Daniela Kerkhoff und Sebastian Sobrowski aus Duisburg, die zum ersten Mal eine "Extra-Schicht" einlegten. Nach einer Hafenrundfahrt und einem Besuch des Gasometers in Oberhausen sind sie nach Essen gefahren - mit dem Auto. "Mit der Bahn würde man nur schwer vier bis fünf Stationen, die nicht in einer Stadt liegen, schaffen. Das haben uns Freunde gesagt, die im letzten Jahr den Fehler gemacht hatten", sagt der 25-jährige Student.

"Kulturfreunde" seien sie eigentlich nicht. "Aber das Programm mit den vielen Aktionen lockte uns irgendwie raus", geben beide zu. Und nachdem sie im Erfahrungsfeld der Sinne ihr Gleichgewicht getestet und vom Förderturm den Ausblick genossen haben, sind sie "von der Atmosphäre Zollvereins im Dunkeln überrascht. Wir sind zum ersten Mal hier. Es ist einfach schön."

Pantomime und Theater

Mit solchen Szenerien können das Ruhrlandmuseum oder die Villa Hügel nicht konkurrieren. Und so lockten die beiden Häuser mit Rundgängen, wie sie nicht immer zu erleben sind, auch nicht Tausende in ihre Räume. Die, die dennoch den Weg in den Süden Essens fanden, konnten sich von der Schönheit des Hügel-Parks überzeugen oder erleben, dass Museums-Führungen nicht immer trocken sein müssen.

So überließ das Ruhrlandmuseum dem Comedy-Duo "Diagonal" den Raum. Mit einer skurrilen Führung entführte es in die Steinzeit, ins Mittelalter und die Industriegeschichte. Wer dachte, die Musseums-Schätze seien historische Fundstücke, wurde eines Besseren belehrt: "Diese Knochen hier, sind aus dem Garten meiner Großmutter", beteuerte Comedian Holger Erich, der als "Ingbert Jonas" den Geheimnissen auf der Spur war - allerdings nicht allein. Mit Partnerin Deana Kozsey bewegte er sich zwischen Pantomime und Theater. Mit ihrem Slapstick und einer bewegten Gesichtskomik unterhielt das Duo bestens. "So macht Kultur Spaß", freute sich Sylvia Sternbeck aus Bochum, als "Ingbert" zum Abschluss sein Können als Feuerschlucker unter Beweis stellte.

Feuerspiele und Vollmond

Derweil wurde auch auf der Zeche Zollverein mit dem Feuer gespielt: Kai Karawahn lud im Dunkeln vor der Kohlenwäsche zu einem "Feuerfestakt" mit Videoprojektionen, Feuerbällen und entflammten Bildern ein. Mit einer szenischen Lesung über die Industriegeschichte als Vorgeschmack auf das Theaterprojekt "Union der festen Hand" (Premiere am 25. Juli) begleitete Schauspieler Peter Franke das Spektakel. Ein Spektakel, das viele in den Bann zog, aber auch Fragen aufwarf. "Die Inszenierung war klasse, aber die Geschichte war in dieser Darstellung schwer zu verstehen", fand der Essener Heinz Brewer (56), als gegen 23.15 Uhr das letzte Feuer gelöscht war.

Weiter ging es dann noch auf der Kokerei, wo gegen Mitternacht die Erde per Satellit live auf eine Gebäudefassade übertragen wurde. Hunderte versammelten sich im Schein des Vollmondes auf einer Brücke, um die Nacht der Industriekultur im Schatten der Weltkugel und des Lichtes ausklingen zu lassen. ROSALI KURTZBACH




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